Mittelstand und KMUs in der Transformation

Seit fast 11 Jahren arbeite ich in einem großen Industrieunternehmen der Automobilbranche. In dieser Zeit hat sich die Arbeitswelt, besonders aber natürlich die Mobilitätswelt verändert. Und ich als Launch- und Transfermanagerin stecke da mittendrin. 

Im Ehrenamt bin in der Landesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft/Finanzen/Soziales in der Arbeitsgruppe Industriepolitik aktiv. Landesarbeitsgemeinschaften bei den Grünen bieten die Möglichkeit für die Parteibasis Einfluss auf die Landespolitik zu nehmen, da hier unter anderem Konzeptpapiere erarbeitet werden, die die Grundlage für Anträge im Parlament bilden können.

Die Arbeitsgruppe Industriepolitik hat momentan die Aufgabe Positionen zum Thema „Transformation von KMUs“ zu erstellen. Ich bin dabei für das Thema Qualifikation der Arbeitnehmer zuständig.

Ein Thema an dem ich total gerne mitarbeite, da es mich und meine Arbeit selber betrifft.

Die Fragestellungen dabei sind: 

Mit welchen Herausforderungen sehen sich kleine und mittelgroße bei der digitalen und ökologischen Transformation konfrontiert?

Wie können mittelständische Unternehmen resilienter gegenüber Krisen und den Risiken der doppelten Transformation werden? 

Hierzu habe ich mich mit Schlüsselpersonen der Agentur für Arbeit und der IHK in Verbindung gesetzt und viele wertvolle Informationen erhalten.

Mir war nicht klar dass es bereits vielfältige Angebote für Arbeitnehmer*innen gibt, die sich beruflich verändern wollen. Hierfür wurden z.B. die Regionalbüros für berufliche Fortbildung gegründet, die vor Ort trägerneutral (!) über Weiterbildungsmöglichkeiten informieren und dabei auch über Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten beraten. 

Das Qualifizierungschancengesetzt bietet Betrieben gestaffelt nach Größe die Übernahme von Lehrgangskosten z.B. auch dann an wenn Angestellte ohne Berufsabschluss innerhalb oder außerhalb des Betriebs noch einen Berufsabschluss nachholen möchten. 

Es gibt eine Vielzahl an Angeboten, für mich auf den ersten Blick fast schon zu viel um den Überblick zu behalten. Auf Nachfrage erfuhr ich aber, dass es Experten gibt, die nicht nur Arbeitnehmer*innen beraten, sondern auch z.B. bei der Agentur für Arbeit Arbeitgeberservice-Teams die zu den Fördermöglichkeiten beraten. Und auch bei der IHK können Betriebe Beratung und Unterstützung bei der Beantragung erhalten. 

Wie wichtig es ist, dass Betriebe sich mit der zukünftigen Arbeitswelt auseinander setzen, macht diese aktuelle Studie klar (finanziert durch: Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus so- wie die Sozialpartner IG Metall Baden-Württemberg und Südwestmetall): https://www.agenturq.de/unsere-konzepte/konzepte-fur-die-betriebspraxis/konzept-future-skills/

Hierbei wurden 12 Future-Skills-Cluster in 4 Kategorien erarbeitet wie z.B. „Data Science und KI“ und überprüft wie hoch innerhalb der 4 Schlüsselindustrien in BW die Nachfrage nach diesen Skills ist, ob sie höher ist als in BW gesamt und wie die Nachfrage wächst. Das Ergebnis zeigt, dass in fast allen dieser „zukünftigen Schlüsselqualifikationen“ die Nachfrage in den 4 für BW am wichtigsten Industrien (1. Automobil- und Zulieferindustrie, 2. Maschinenbau, 3. Metallbau, 4. Medizintechnik) höher liegt als die Nachfrage in ganz BW und dass die Nachfragen an diesen Qualifikationen wachsen. 

Dieses Wachstum muß nun entsprechend mit Angestellten bedient werden, die über diese Qualifikation verfügen. 

Ein weiterer Grund für Betriebe sich aktiv mit der Transformation auseinander zu setzen, sollte die Tatsache sein, dass immer mehr Tätigkeiten durch digitale Technologien ersetzt werden können. Zu dieser Erkenntnis kommt das IAB bei ihrer Analyse zu Substituierbarkeitspotentialen.In Baden-Württemberg etwa arbeiten 36,8 Prozent aller Beschäftigten – das ist bundesweit der dritthöchste Wert – in einem Beruf mit hohem Substituierbarkeitspotenzial. Das Maximum innerhalb von BW liegt mit 53,6% sogar im Landkreis Tuttlingen! 

Die Agentur für Arbeit schreibt hierzu in ihrer Pressemitteilung vom 23.09.2021: Ein hohes Substituierbarkeitspotenzial bedeutet nicht unbedingt, dass menschliche Arbeitskräfte und Tätigkeiten auch wirklich durch digitale Programme größtenteils ersetzt werden. Es können stattdessen neue Aufgaben für die Beschäftigten dazu kommen oder sich innerhalb der ausgeübten Berufe etwa in Richtung Führung und Entscheidungsfindung bzw. Beratung und persönliche Betreuung verschieben. So ist zwar anders als in der Vergangenheit auch die Substituierbarkeit von Tätigkeiten von Fachkräften deutlich gestiegen, aber gleichzeitig ist zwischen 2013 und 2019 ihre Arbeitslosenzahl im Vergleich aller Beschäftigtengruppen (Helfer, Spezialisten und Experten) am stärksten gesunken. 

Wir sehen also: 1. Der Bedarf an beruflicher Qualifizierung ist da. 2. Es gibt die unterschiedlichsten Angebote für jede Zielgruppe (von Kammern, AG-Verbänden, BA, Förderprogramme Land usw.)

Meine Recherche ergab, dass aber trotzdem der Bedarf nicht hinlänglich bekannt ist. 

Der Bedarf kann erst dann quantitativ ermittelt werden, wenn alle daran Beteiligten (Betrieb/Geschäftsleitung/Personalleitung und auch Arbeitnehmer einsch. Betriebsräte) bereits sind sich die folgenden Fragen zu stellen:

a)    Womit wollen wir in 5 Jahren mit unserer Firm erfolgreich am Markt sein (welche Produkte von uns benötigt dann der Markt)?

b)    Welche Qualifikationen benötigen die jetzt schon vorhandenen Beschäftigten, damit wir diese Produkte entwickeln, herstellen und absetzen können (andere Fachkräfte gibt es am Markt nicht, deshalb müssen die Beschäftigten mitgenommen werden)?

c)     Sind sich die Beschäftigten darüber bewusst, dass sie ihre Qualifiktion verändern/verbessern müssen und sind sie bereit das zu tun?

Und dies wird bisher zu wenig getan. 

Momentan arbeiten zwar bereits  Organisationen, Verbände, Kammern usw daran, dieses „Bewusstsein“ auf den verschiedenen Ebenen  anzustoßen, meine Erfahrung durch viele Unternehmensbesuche während meines Wahlkampfs zeigt mir aber, dass dies noch zu wenig ist. 

Folgende Idee könnten helfen: 

  • Betriebe müssen eine Quote zur betrieblichen Qualifizierung erfüllen – jedem Arbeitnehmer stehen ja 5 Tage Bildungsurlaub im Jahr zu
  • Transformationsmanager suchen aktiv Betriebe der 4 Schlüsselindustrien auf und stellen die Studie „Future-Skills“ vor
  • Eine Werbekampagne des Landes sensibilisiert Unternehmen und bewirbt Beratungsstellen
  • Lokale „Runde Tische“ entstehen zu denen Betriebe aktiv eingeladen werden

Daran werde ich die nächsten Wochen weiter arbeiten.