Herz und Härte

„Herz und Härte“ – unter diesen Leitspruch hat Landesinnenminister Thomas Strobl Baden-Württembergs Abschiebepolitik gestellt. Immer wieder kollidieren jedoch Menschlichkeit und die Buchstaben des Gesetzes. Zwei Beispiele.

Mit diesen Worten beginnt der heutige Artikel auf Seite Drei der Schwäbischen Zeitung.

Dazu passt zufällig mein heutiger Gastbeitrag von Helmut Stoklossa. Er kann somit als Beispiel Nummer Drei verstanden werden:

Recht oder Gerechtigkeit?

… wenn das Gewissen plagt.

Diese Frage muss ich einmal provokativ stellen. Bis in meine Wurzeln bin ich Demokrat und Christ, mit festem Glauben an unseren Rechtsstaat. Und da fängt das Dilemma auch schon an. Flüchtlinge in unserem Land in unserer Stadt, kommen zu mir und bitten um Rat und Begleitung in dieser für sie fremden Welt. Sie kamen einst mit großen Hoffnungen, überlebten die gefährliche Flucht, wurden verteilt in der Bundesrepublik, in die Landkreise , … und jetzt sind sie bei uns in der Stadt, ertragen mit innerem Schmerz, geduldig diese manchmal unmenschlichen Unterbringungsmöglichkeiten, die alle  w i r  geschaffen haben oder seit mehr als fünf Jahren dulden. Fast niemand der Bürger kennt sie, wie die jungen Leute leben, wenn man das so sagen und glauben soll, unauffällig nebenan mit Sozialhilfe, mit Schule, Ausbildung oder Arbeit. Abseits, still und arm, zum Teil ohne Fernsehen und Internet in abrissreifen Häusern mit Ausblick auf unsere schönen, sauberen, neuen Eigentumswohnungen, das deutsche Schlaraffenland vor Augen.

Was alle verbindet ist die Hoffnung, endlich hier anzukommen, akzeptiert zu werden und eine Lebensgrundlage zu finden. Ihre größte Angst ist das Ende der Hoffnung, die sie mitgebracht haben und die sie immer noch im Herzen tragen. Der ungewisse Ausgang des Asylprozesses, die ungewisse Zukunft hier und die mögliche Abschiebung in ihre Vergangenheit, die sie schon hinter sich glaubten.

Jeder von ihnen bekommt seinen individuellen Gerichtsprozess bei dem im Einzelfall geprüft wird ob Asylgründe vorliegen. Viele sind abgelehnt worden, legen Widerspruch ein und danach vergehen die Jahre, diese Zeit mit der quälenden Ungewissheit bis zur zweiten Prozessinstanz. Alle fragen sich, warum das alles so lange dauert, derweil lernt man Deutsch mit verschiedenen Abschlüssen, beginnt vielleicht eine Ausbildung oder sucht sich eine Arbeit…….., und bezahlt brav jeden Monat seinen Rechtsanwalt. Auch diese Menschen haben eine Würde, die Sozialhilfe und die Lebensumstände lasten schwer. Kamen sie doch ins gelobte Land in Europas Westen mit großen Hoffnungen, das Fluchtgeld geliehen von der Verwandtschaft und nun nach vielen Jahren haben sie immer noch nichts vorzuweisen in ihrem Leben.

Können wir uns das vorstellen? Da lebte eine Familie in Afghanistan, der Vater verhaftet von den Taliban, gefoltert bis ein Arm nicht mehr zu gebrauchen war. Man flieht mit dem zweijährigen Sohn ins Nachbarland, ist dort als Flüchtling aber nicht erwünscht, wird bedrängt und sucht sich ein neues Fluchtland. Dort leben alle ohne Legitimation bis der Sohn wehrfähig wird. Entweder geht es in die Armee oder in eine der Milizen. Kriegsdienstverweigerung, in Deutschland seit 1956 gesetzliche Möglichkeit, ist ein Fremdwort. Der Sohn entschließt sich zur Flucht und bei uns fragt man ihn nach Personalpapieren die er nie bekommen hatte. Er bemüht sich redlich um Integration, Schule, Ausbildung, Arbeit, immer in der Hoffnung, das Gericht muss sein Bemühen doch anerkennen damit er bleiben kann. Wo soll er denn sonst hin auf dieser Welt, ohne Personaldokumente? Da meldet sich insgeheim der Wunsch, das Auswärtige Amt könnte helfen und eine Geburtsurkunde besorgen, hat doch eine Botschaft in Afghanistan. Es ist zum Verzweifeln, das Ziel ist da, aber nicht der Weg. Die Ausbildung dieses jungen Mannes  ist bald zu Ende, die Hoffnung auch und das Gespenst der Abschiebung wird immer größer.

Die Gerichte haben entschieden, nach Recht und Gesetz. Sie konnten nicht anders als die Ablehnung zu begründen denn es gilt nur die persönliche Verfolgung als Asylgrund, nicht die Angst davor oder Verfolgung in der eigenen Familie. Recht ist gesprochen aber ist das auch gerecht gegenüber dem schutzsuchenden Menschen? Zugegeben, es sind seltene Fälle, deshalb ist unsere Hilflosigkeit doppelt schwer zu ertragen.

Vielleicht ist die Vorstellung der GRÜNEN ein praktikabler Ausweg in einzelnen, begründeten Ausnahmefällen und nach 5 Jahren in Deutschland einen Übergang zu ermöglichen zwischen Asyl und Einwanderung. Geben wir unseren Richtern eine solche Möglichkeit an die Hand. Sie werden sie gewiss genauso verantwortungsvoll handhaben. Es muss möglich sein dass ein voll integrierter Flüchtling mit Arbeit und Einkommen und einem sicheren Arbeitsplatz ein Bleiberecht bekommen kann. Das nützt ihm und gleichzeitig auch seinem Arbeitgeber der bisweilen viel Vertrauen und Ausbildung in ihn investiert hat.

Helmut Stoklossa

Ehrenamtlicher Betreuer

11.1.2021